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Über-Setzen Medien zwischen Transfer und Transformation Tagung der Fachgruppe Mediensprache – Mediendiskurse

 Medien dienen nicht zuletzt dem Transfer. Sie übertragen, übersetzen, vermitteln den gesellschaftlichen Diskurs. Aber Medien sind heute auch selbst erheblichen Transformationen unterworfen, die extrinsisch durch technologischen Wandel, aber auch intrinsisch durch eine Anpassung an gesellschaftliche Prozesse motiviert sein können. Die Übersetzungsleistungen, die die Medien erbringen, lassen sich auf sehr unterschiedlichen Ebenen analysieren, u.a. aus einer integrativen, aus einer diskursiven, aus einer sozialen und aus einer begrifflich-metaphorischen Perspektive. Aus integrativer Perspektive sind Fragen des Transfers und der Transformation eng an professionelle Praktiken angelehnt. Das zeigt sich vielleicht besonders deutlich an der Transferleistung des Journalismus. Er übersetzt von Fachsprachen (Wissenschaftssprache, Politsprech, Sportslang etc.) in allgemeinverständlichen Code, er übersetzt ganz konkret fremdsprachigen Text (von Interviewpartner*innen oder aus fremdsprachigen Quellen) in die eigene Sprache und er leistet mit Korrespondent*innennetzen neben der intersprachlichen Übersetzung auch einen Beitrag zum Kulturtransfer, was eine ganz eigene und vielleicht wichtigere Übersetzungsleistung darstellt. Im Zeitalter der Internationalisierung und der Globalisierung sind Journalismus und Medien außerdem auch selbst gefragt, in anderen Sprachen versiert zu sein und auch die eigenen Elaborate mehrsprachig anzubieten. So bieten viele Medien heute schon englischsprachige Ausgaben und Versionen ihrer Angebote an und Medienhäuser wie etwa die Deutsche Welle haben ein ganzes Portfolio an fremdsprachigen Diensten. Durch die Digitalisierung findet zudem Recherche heute in wichtigen Teilen im Netz und damit vor allem auch auf englischsprachigen Webseiten und Diensten statt. Rechercheverbünde arbeiten heute arbeitsteilig und vielsprachig über Ländergrenzen hinweg, um die großen Scoops vor allem des datengetriebenen Journalismus zu erarbeiten, Stichwort: Crossborder journalism. In Zeiten des „visual turn“ sind aber auch Umsetzungen von Geschichten und Diskursen in Bilder als spezifisch mediale Transfer- und Transformations-Leistung zu verstehen. Um die diskursiven Prozesse von Transfer und Transformation in den digitalen Medien zu beschreiben, wurde zuletzt vermehrt auf das Konzept der Rekontextualisierung zurückgegriffen. Das Revival dieses interaktions- und diskursanalytisch konturierten Begriffs hängt mit einem Wesenszug digitaler Medien zusammen: Digitale Medien ermöglichen und befördern vielfältige Praktiken, bei denen bestehende Materialien geteilt, kopiert, eingebettet, zusammengestellt oder umgestaltet werden. Der offene Begriff ist einerseits attraktiv, weil damit ein großes Spektrum von mediatisierten Praktiken erfasst werden kann (vom Zitieren im journalistischen Arbeitsprozess bis hin zu Memes und multimodalen Remix-Praktiken etc.), andererseits ist aber auch bei diesem Begriff eine theoretische Klärung und weitergehende empirische Präzisierung angeraten. Aus gesellschaftlicher Perspektive sind die Medien heute selbst vor allem durch die Digitalisierung enormen Transformationsprozessen unterworfen: Sie sind selbst auf dem Weg zu neuen Ufern, und das bringt erhebliche Veränderungen in den Arbeitsweisen, professionellen Rollen und Routinen, in der gesellschaftlichen Bedeutung, in Fragen der ReFinanzierung und im Verhältnis zum Publikum mit sich. Auf der begrifflich-metaphorischen Ebene zeigt sich auch die Problematik der Konzeptualisierung von Transfer und Transformation als „Übersetzung“. Wir reden manchmal allgemein über Medien, deren Leistungen und Prozesse, indem wir von der „Übertragung“, einer „Übersetzung“ oder der „Vermittlung“, dem „Rüberbringen“ sprechen. Metaphern helfen uns zu verstehen, können sich aber auch auf problematische Art verselbstständigen und den Blick auf die Gegenstände verstellen. Das wird bei der naiven Verwendung von TransportMetaphern deutlich und betrifft wohl auch manche Auffassungen eines „Kulturtransfer“ oder der „Übersetzungsleistung“ der externen Wissenschaftskommunikation. Im entgrenzten Kommunikationsraum der digitalen Medien ist aber gleichzeitig besonders deutlich sichtbar, wie Texte und Diskursabschnitte laufend in neue Zusammenhänge gestellt und von den Beteiligten dabei adaptiert und sprachlich und multimodal umgearbeitet werden. Die Vielsprachigkeit der Mediendiskurse, die Transfer-Leistungen von Medienangeboten und ihre Rekontextualisierung sind einerseits eine Bereicherung, andererseits werfen sie aber auch zahlreiche Fragen und Probleme auf: Verändert sich durch die Übersetzung auch die Botschaft? Wie lassen sich fremde Botschaften, vor allem in der interkulturellen Perspektive, überhaupt übersetzen? Wenn Übersetzen Verständlich-machen bedeutet, dann hat die Frage nach dem journalistischen Transfer noch eine tiefergehende, nämlich medien-hermeneutische Konnotation. Die Fragen, die sich hier an die journalistische Übersetzungsleistung knüpfen, sind solche nach einer möglichen Transformation durch Transfer, also einer Veränderung der Botschaft durch die Übersetzung, bis hin zu solchen kritischen Positionen wie der des Sprachphilosophen Willard van Orman Quine, der mit seinem Gedankenexperiment der „radikalen Übersetzung“ die Möglichkeit jedes Transfers ausgeschlossen hat. Vor diesem Hintergrund will die Fachgruppentagung einerseits die kritische Auseinandersetzung mit dem Übersetzungsbegriff (und verwandten Konzepten) anregen und andererseits Untersuchungen in den Mittelpunkt stellen, die sich vertiefend mit einzelnen Aspekten von Transfer und Transformation in (digitalen) Mediendiskursen befassen. Ausgehend von diesen Fragestellungen und Problemen laden wir alle Interessierten und Forschenden zu Beiträgen für diese Tagung ein (gerne auch in englischer Sprache!). Mögliche Fragestellungen, Forschungs- und Vortragsthemen sind unter anderem: — Theoretische Beiträge und kritische Studien zum Übersetzungsbegriff und dem Konzept der Rekontextualisierung in der Medien- und Kommunikationswissenschaft, — Beiträge zur Übersetzungs- und Vermittlungsfunktion von Medien im gesellschaftlichen Diskurs (z. B. im Rahmen der Corona-Krise), Untersuchungen des Transfers spezifischer Mediendiskurse (z. B. Fachsprachen, Ressorts, Wissensgebiete) und zur Frage des Wissenstransfers (z. B. im Zusammenhang mit Storytelling), — empirische Studien zur Transferleistung von Medien zwischen gesellschaftlichen Teilbereichen/Systemen, besonders Beiträge, die Bereiche medialer Berichterstattung fokussieren (z. B. Sport-, Wirtschaft- oder Wissenschaftsberichterstattung) oder spezifische Medienformate unter dem Transfer- und Übersetzungsaspekt betrachten (z. B. Gerichtssendungen als Vermittlung zwischen Rechtssystem und Alltag), — Studien zu medienkritischen Diskursen und zur metakommunikativen Reflexion einzelner medialer Vermittlungs- und Übersetzungsleistungen in spezifischen Medienformaten (z. B. zu rezeptionsbegleitenden Twitterdiskursen, zu YouTubeFormaten wie MaiLab etc.) und professionellen Settings (z. B. zur Übertragung kommunikations- und medienwissenschaftlichen Wissens in die Medienpraxis), — Qualitative und quantitative Untersuchungen im Feld des mehrsprachigen und des Cross-Border-Journalismus, — Einzelstudien zu Aspekten des Medienwechsels und zu intra- und transmedialem Transfer und Transformationsprozessen (z. B. zur Frage, wie etablierte massenmediale Verfahren auf neue digitale Umgebungen übertragen werden) — Theoretische Arbeiten im Bereich der Medienhermeneutik und der Frage prinzipieller (Un-)Verstehbarkeit journalistischer Botschaften, Untersuchungen zu Transfer und Transformation der Medien allgemein in technischer, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht sowie — Beiträge, die Transfer und Transformation aus der Perspektive der Nutzung und Aneignung von Medien konzipieren. Hinweise zur Einreichung Willkommen sind Vorschläge für verschiedene Formate: Tagungsvortrag (20 Min. Vortrag, 10 Min. Diskussion), Panel (90–120 Min. mit 2-4 Vorträgen / Impulsreferaten zum gleichen Oberthema, das aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert wird) oder Workshop (Dialog zu Work in Progress mit etwa 10 Min. Input und 20–30 Min. Diskussion). Wir bitten Sie, Ihren Vorschlag per Mail in Form eines anonymisierten Extended Abstracts (4.000–6.000 Zeichen inkl. Leerzeichen und Literatur) plus ggf. Anhang (Abbildungen, Tabellen) bis zum 31. Oktober 2020 einzureichen. Paneleinreichungen sollen folgende Teile enthalten: Paneltitel, Beschreibung der Panelidee und -thematik sowie der inhaltlichen Struktur in 3.000-4.000 Zeichen sowie Titel und Abstract für jeden Vortrag mit jeweils ca. 2.000 Zeichen (exkl. Bibliographie, Abbildungen und Tabellen). Bitte senden Sie Ihren Beitrag in elektronischer Form (*.doc, *.docx, *.rtf, kein pdf!) an den Fachgruppensprecher Daniel Pfurtscheller (daniel.pfurtscheller@univie.ac.at) sowie an den Ausrichter Hektor Haarkötter (hektor.haarkoetter@h-brs.de). Der eingereichte Beitrag darf in dieser Form nicht bereits in einer Verlagspublikation veröffentlicht oder auf einer wissenschaftlichen deutschsprachigen Tagung präsentiert worden sein. Allerdings sind durchaus Beiträge möglich, die einen methodischen Aspekt aus einer bereits publizierten oder präsentierten Studie herausgreifen, wenn dieser Aspekt nicht Hauptgegenstand der Publikation oder Präsentation war. Soll eine empirische Studie vorgestellt werden, so muss aus dem Abstract klar hervorgehen, ob es sich a) um eigene Daten handelt und b) in welchem Stadium sich die Studie gegenwärtig befindet (Planung, in der Durchführung, in der Auswertung, abgeschlossen). Die Vorschläge werden in einem anonymisierten Review-Verfahren begutachtet. Deshalb bitten wir, die Abstracts mit einem abnehmbaren Deckblatt, auf welchem der Beitragstitel sowie Name und Adresse der Einreichenden verzeichnet sind, zu versehen. Die Abstracts sollen neben einer Inhaltsangabe des Vortrags den Bezug zum Tagungsthema sowie die Relevanz und Originalität der Fragestellung verdeutlichen. An diesen Aspekten werden sich auch die Reviewer*innen orientieren. Die Tagungsleitung behält sich zudem vor, auch die Gesamtkonzeption der Tagung bei der Auswahl der Beiträge zu berücksichtigen, unter Umständen ein ‚Offenes Panel‘ einzurichten sowie einzelne Kolleginnen und Kollegen mit der Bitte um Beiträge anzusprechen. Nachwuchsworkshop der FG Mediensprache – Mediendiskurse Im Rahmen der Tagung wird ein Workshop für Nachwuchswissenschaftler*innen angeboten. Dieser richtet sich an alle Nachwuchswissenschaftler*innen, die Aspekte ihrer Projekte mit Expert*innen diskutieren möchten. Die Projekte müssen nicht an das Tagungsthema gebunden sein. Der Call für den Workshop ergeht gesondert. Der Workshop wird von der Nachwuchssprecherin der Fachgruppe Katharina Christ organisiert.  Mit dem Nachwuchsworkshop und einem Get-together beginnen und am Freitag, dem 26. Februar 2021 mittags gegen 14 Uhr enden. Angaben zum Veranstaltungsort, Unterkünften etc. werden rechtzeitig in der Einladung und auf der Website zur Tagung bekannt gegeben.